Fast zwei Wochen in der Hölle habe ich hinter mir. Ich habe ja bereits im letzten Eintrag beschrieben, wie ich versuche, die tödliche Langeweile am Fließband zu vertreiben. Das klappt auch eine Zeit lang ganz gut, aber irgendwann gehen mir eben die Zahlen und Gedichte aus. Dann bleiben mir nur noch zwei Möglichkeiten: Ich kann entweder anfangen, mit meinem Oberkörper rhythmisch nach vorne und hinten zu wippen und dabei ausgedehnte Selbstgespräche über Porzellan-Teeservices zu führen (Merke: Ganz schlechte Idee, auch wenn kein Mensch versteht, worüber man mit sich selbst redet) oder ich versuche, den um sich greifenden Wahnsinn nur auf mein Gehirn zu beschränken. Das ist auch keine so gute Idee, denn dabei können die absurdesten Gedankenkonstrukte entstehen. Aber lest selbst:
Ich habe festgestellt, dass ich eine abgrundtiefe Abneigung gegen den Mann entwickelt habe, der vor mir am Fließband steht. Ach was, Abneigung, wohl eher blanker Hass! Er ist Mitte vierzig, hat einen Schnauzer und stammt von den Philippinen. Versteht mich nicht falsch, ich habe weder etwas gegen Mittvierziger noch gegen die Philippinen. Selbst Schnauzer kann ich ertragen. Ganz im Gegenteil, ich finde sogar, dass er ein netter und hart arbeitender Mann ist, der sicher nur seine Familie ernähren will. Trotzdem stelle ich mir manchmal vor, wie ich ihm einen qualvollen Tod bereite. Woher kommt dieser Hass? Ich hasse ihn, weil er dafür sorgt, dass sich das Fließband vor mir niemals leert. Er schneidet Bananen, immerzu, wie eine gottverdammte Maschine. Er hält mich am Arbeiten, neun Stunden am Tag, und dafür wünsche ich ihm die Pest an den Hals. In meiner Wahnwelt bezeichne ich diesen psychologischen Effekt der Akkordarbeit als „Innisfail-Syndrom“, frei nach dem berühmt-berüchtigten Stockholm-Syndrom. Am Innisfail-Syndrom leidet demnach, wer am Fließband arbeitet und eine irrationale Abneigung gegen seinen Vorarbeiter entwickelt. Diagnose gelungen – Patient geheilt? Mitnichten! Das Innisfail-Syndrom ist ziemlich hartnäckig und nur durch Kündigung heilbar. Es wird also noch eine Weile dauern, bis ich davon loskomme. Vielleicht sollte ich in der Zwischenzeit ein Patent auf den Namen anmelden.
Eine weitere Frucht meiner verqueren Gedankengänge war die Einsicht, wie sehr so eine Bananenplantage einem totalitären Regime gleicht. Die Gemeinsamkeiten sind wirklich verblüffend. Sowohl in einem totalitären Regime wie dem Dritten Reich als auch auf einer Bananenfarm gilt das Führerprinzip. Jeder Arbeiter untersteht einem Vorarbeiter und hat dessen Anweisungen bedingungslos Folge zu leisten. Dieser Vorarbeiter wiederum hat einen Boss, der aber auch nur auf das Kommando des uneingeschränkten Tyrannen hört, dessen Willkür die gesamte Plantagen-Gesellschaft unterworfen ist: Der Farmer. Er und seine Familie gehören zu den wenigen Fanatikern, auf denen das gesamte System beruht. Der Rest der Belegschaft sind nur Mitläufer bzw. Opportunisten, die zu ihrem eigenen Vorteil alles für den Farmer tun würden.
Doch all die Arbeiter, Vorarbeiter und der Farmer selbst bilden nur die Spitze der Gesellschaftspyramide. Die breite Basis besteht aus den Bananen. Sie werden erbarmungslos ausgebeutet und vom Farmer als Machtinstrument missbraucht, denn er weiß: Wer die Bananen kontrolliert, kontrolliert die gesamte Plantage. Bei den Bananen kommen die Prinzipien des Totalitarismus‘ am deutlichsten zum Vorschein: Das Individuum wird unterdrückt (Einzelbananen werden aussortiert), jede Form von Andersartigkeit wird rigoros verfolgt und ausgemerzt, egal ob beruhend auf Äußerlichkeiten (zu krumme, zu gerade, zu gelbe, zu braune, zu kleine, ja sogar zu große Bananen) oder auf inneren Werten (zu weiches Fruchtfleisch). Abweichler werden aufgespürt, deportiert und von einer effektiven Tötungsmaschinerie (ein gewaltiger Schredder) ermordet.
Fehlt nur noch, dass der Farmer ein Buch mit dem Titel „Mein Kampf (mit den Bananen)“ schreibt, die Nachbarfarm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überfällt und schließlich allen Mangoplantagen der Welt den totalen Krieg erklärt. Die Mangofarmer antworten wiederum mit der Veröffentlichung des „kommunistischen Mangofests“ (verfasst von Karl Mango und Friedrich Engels) und schon haben wir den 2. Bananenkrieg*. Na toll! Bevor ich das erlebe, werde ich doch lieber geisteskrank und sammle Porzellan-Teeservices!
*Ich bitte die historische Ungenauigkeit zu entschuldigen, denn wie jeder weiß, wurde „Das kommunistische Mangofest“ von Karl Mango und Friedrich Engels 76 Jahre vor „Mein Kampf (mit den Bananen)“ verfasst.
Ein Cassowary-Warnschild: Diese exotischen, straußenartigen Vögel greifen gerne Menschen und sogar fahrende Autos an... |
Das erfuhren wir aber leider erst, NACHDEM dieses stattliche Exemplar unseren Weg kreuzte. Zum Glück war es friedlich |
Ein Teil der Produktionshalle auf der Bananenfarm, so, wie ich ihn liebe - ohne arbeitende Menschen |
Unser offizielles Weihnachtsbild: Am Heiligabend gabs Pizza, Softdrinks und stimmungsvolle Teelichter. Merry Christmas! |
Armer Pauli, wenn ich Deinen neuesten Blog lese, mache ich mir schon Gedanken um Deine geistige Gesundheit. Vielleicht bleibst Du doch lieber beim Nach-Vorn-und-Hinten-Wippen. Das machen auch die buddistischen Mönche, um ihre Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Du solltest wahrscheinlich aber doch eher die Arbeit wechseln, denn wenn Du zu viel "wippst", nimmt Dein Verhalten noch autistische Züge an. Wir wollen Dich doch psychisch und physisch gesund wieder in Deutschland begrüssen. Bis dahin freuen wir uns weiterhin auf recht unterhaltsam geschriebene Blogs.
AntwortenLöschenDer straußenähnliche Vogel ist ein Kasuar.
AntwortenLöschenBesserwisser Papa!
P.S. Der Vergleich des Totalitarismus(noch ein ismus) ist sehr treffend
Habe heute wieder Bananen gekauft. Denke seit Tagen beim Banane-essen immer an dich und mache mir sorgenvolle Gedanken./ Bis du diese Arbeit kündigst um dir was Neues zu suchen, halte ohne psychische Schäden durch!!!! Ich wünsche dir Kraft! DOR
AntwortenLöschenLieber männlicher Vertreter meiner Erzeugerfraktion, der englische Name des Kasuars ist Cassowary. Die gesamte Region, in der wir gerade sind, ist nach diesem Tier benannt: Cassowary Coast. Zufrieden mit einem Unentschieden?
AntwortenLöschenMir sind übrigens noch zwei weitere Gemeinsamkeiten zwischen Bananenfarm und Totalitarismus eingefallen: Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit. Alle Vans, die den Farmern gehören, tragen Sticker mit Aufschriften wie "No Banana Imports" oder "Buy Australian Bananas". Faszinierend, nicht wahr? :)
Du hast jetzt mehr Besuche als Alex, aber ein neuer Blog ist fällig. Grüße von Martin Jost.
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