Die neuesten drei Einträge bilden eine Einheit. Ich habe sie deshalb im Sinne der besseren Lesbarkeit antichronologisch angeordnet. Was ich sagen will: Einfach beim obersten Artikel anfangen und bis zum untersten durchlesen! Viel Spaß! :-)
Montag, 31. Oktober 2011
Vom Creme-Kasper…
Bevor ich die versprochene Fortsetzung des letzten Blogeintrags schreibe, muss ich mich erst einmal dafür entschuldigen, dass ich in den vergangenen zweieinhalb Wochen nichts von mir hören lassen habe. Es gibt aber auch einen guten Grund: Die letzten Wochen waren so turbulent, dass ich nie wusste, ob das, was ich in mein Blog* schreibe, nicht am nächsten Tag schon wieder überholt sein würde. Jetzt ist zum Glück etwas Ruhe eingekehrt und ich habe Zeit, die Gedanken in meinem Kopf zu ordnen und aufzuschreiben.
Das Vorstellungsgespräch für den Verkäuferjob lief echt gut, aber ich will mich damit nicht allzu lange aufhalten, denn wie gesagt: Das ist schon lange wieder Schnee von gestern. Ich bekam die Stelle und sollte am darauffolgenden Montag anfangen. Einen richtigen Arbeitsvertrag gab es nicht, nur ein Formular, auf dem ich meine Kontaktdaten und meine Bankverbindung angeben sollte. Die Bezahlung wurde mündlich vereinbart. Ein bisschen Smalltalk, ein paar Komplimente, Händeschütteln, und das war’s. See ya!
Der Montag kam und damit mein erster Arbeitstag. Schon nach zwei Stunden war mir klar, dass dieser Job kein Zuckerschlecken ist. Man steht neun Stunden täglich in einem Kaufhaus direkt unter der Klimaanlage, was es unangenehm kühl macht, und spricht die vorbeilaufenden Leute an. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Personen ich an diesem Tag angequatscht habe, aber es müssen hunderte gewesen sein. Schätzungsweise 95 Prozent der Passanten blieben gar nicht erst stehen. Es waren entweder gehetzte Workaholics, die ihren ohnehin schon schnellen Schritt noch einmal beschleunigten, wenn sie in die Nähe unseres Stands kamen, oder Shopaholics, die nur mit dem Kopf schüttelten, „I’m in a hurry, sorry!“ riefen und geschwind im nächsten Geschäft verschwanden, oder jegliche andere Form von –aholics, aber jedenfalls – sehr zu meinem Bedauern – keine Skin-Care-Aholics.
Die verbleibenden fünf Prozent waren unsere Zielgruppe, größtenteils bestehend aus Frauen zwischen 20 und 50. Die Jüngeren hätten nicht genug Geld, wurde mir gesagt. Wen wundert’s, die billigste Creme kostet ja auch nur schlappe 140 Dollar! Bei den Älteren wäre sowieso alles zu spät. Inder seien tabu, meinte meine Chefin, die würden sich nur die Präsentation anhören, brav nicken, „Ah!“ und „Oh!“ sagen und trotzdem nie und nimmer etwas kaufen, viel zu geizig, die Typen! Chinesinnen wären perfekt, meist wohlhabend und mit einem locker sitzenden Geldbeutel.
Wenn die angesprochene Person tatsächlich stehen blieb, musste man sie dazu bewegen, doch bitte für ein paar Minuten Platz zu nehmen und sich dieses tolle neue Produkt anzusehen. Wenn auch diese Hürde genommen war, fing man an, dem potenziellen Kunden eine Kostprobe der Creme auf den Handrücken aufzutragen und einzumassieren, während man gleichzeitig über die Vorzüge des Produkts schwadronierte. So weit, so gut. Früher oder später musste man natürlich den Preis offenbaren, und da hörte der Spaß meistens auf. Ich sah Kunden, die plötzlich die Kontrolle über ihre Gesichtsmuskeln verloren, welche, die auf einmal großes Interesse an der Tierhandlung gegenüber zeigten und verschwanden und solche, die ihre Haut – jetzt, da sie so darüber nachdenken - eigentlich doch ganz schön fanden. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe an diesem Tag mehrere hundert Passanten angesprochen, ungefähr fünfzehn Präsentationen gehabt und genau zwei Cremes verkauft. Ich war trotzdem ganz zufrieden mit mir. Für den ersten Tag sei das sehr gut, sagte auch meine Chefin. Morgen wird es noch besser, versicherte sie mir.
*An alle Besserwisser: Es heißt nicht „der Blog“, sondern „das Blog“, deshalb ist tatsächlich „in MEIN Blog“ die richtige Form - und nicht „in MEINEN Blog“.
…über den antriebslosen Arbeitslosen…
Doch es wurde nicht besser. Ganz im Gegenteil: Es wurde ein Desaster. Am nächsten Tag musste ich in einem anderen Kaufhaus arbeiten. Es sei ein Nobelkaufhaus und gleichzeitig das größte Shoppingcenter der südlichen Hemisphäre, erzählte mir meine allwissende Chefin. Die Kundschaft sei hier deutlich reicher, hätte aber auch gehobene Ansprüche. An einem guten Tag könnte man hier locker das Zehnfache dessen verkaufen, was man im anderen Kaufhaus an den Mann gebracht hätte. An einem schlechten Tag aber… Sie ließ den Satz unvollendet.
Ich erwischte einen schlechten Tag. Stunde um Stunde stellte ich mich an die markierte Linie, die man als Verkäufer nicht überschreiten durfte, setzte ein Lächeln auf und sprach die vorbeischlendernden Frauen und Männer an, doch kein Fisch ging mir ins Netz. Mein einziger Trost war, dass es meiner Arbeitskollegin ebenso ging, obwohl sie den Job schon seit fast vier Wochen hatte. Nach sechs fruchtlosen Stunden setzten wir eine Art Notruf an unsere Chefin ab, dass die Kasse noch nahezu leer sei (Meine Mitstreiterin hatte inzwischen eine Creme verkauft.) Eine halbe Stunde später war sie da und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. In den verbleibenden zweieinhalb Stunden schaffte sie es, eintausend Dollar in die Kasse zu spülen. Mir selbst gelang in den ganzen neun Stunden kein einziger Verkauf. Dementsprechend frustriert war ich am Ende des Tages. Meine Chefin versuchte mich aufzumuntern: „Es war heute kein leichter Tag. Die Wochenenden sind deutlich besser. Du musst einfach Geduld haben.“
Doch die hatte sie offensichtlich selber nicht, denn zwei Tage später erhielt ich eine SMS mit der Botschaft, dass sie „in naher Zukunft“ meine Hilfe nicht mehr benötigen würden. Ich glaube, so erleichtert werde ich nie wieder über eine Kündigung sein.
Also war ich schon wieder arbeitslos. Und was macht man als ordentlicher Arbeitsloser, ohne Geld, Beschäftigung und Motivation? Genau – lange schlafen, saufen und von Sozialhilfe leben. Doch selbst diese Grundrechte blieben mir verwehrt. Ausschlafen ging nicht, da jeden Morgen draußen die Presslufthämmer der Bauarbeiter mit den Schnarchern in unserem Zehn-Bett-Zimmer um die Wette dröhnten. Alkohol ist schlicht und ergreifend zu teuer und von Hartz IV haben die Australier auch noch nichts gehört. Mist. Nach ein paar Tagen, in denen ich meine hart erarbeitete Arbeitslosigkeit mehr oder weniger auskostete (siehe Foto unten), ging mir langsam auf, dass mir wohl nichts Anderes übrig bleiben würde, als wieder auf Jobsuche zu gehen.
Ansicht eines Arbeitslosen: Unkontrollierter Bartwuchs, Strubbelhaar, Augenringe, leicht irrer Blick |
…zum Delivery Hero
Ich lernte aus meinen Fehlern und war dieses Mal bei der Arbeitssuche vorsichtiger. Stellenangebote, die einem astronomische Gehälter versprachen, ignorierte ich geflissentlich. Wenn ich auf das Wort „Kommission“ stieß, las ich gar nicht erst weiter. Was ich suchte, war ein fairer, ehrlicher Job, bei dem ich einen ordentlichen Stundenlohn erhalte und bei dem ich nicht gezwungen sein würde, Leuten Produkte anzudrehen, die sie gar nicht haben wollen. Bald stieß ich auf eine Anzeige, die mein Interesse weckte. Eine erst im Juli gegründete Internetseite namens Delivery Hero suchte unter der etwas seltsamen, aber ziemlich treffenden Überschrift „Speisekartensammler“ für ein bis zwei Wochen Leute, die innerhalb Melbournes von Restaurant zu Restaurant laufen, dort fragen, ob das entsprechende Lokal Take-away oder sogar einen Lieferservice anbietet und wenn ja, ein Exemplar der Speisekarte mitzunehmen. Das Gleiche hatten sie vor ein paar Monaten in Sydney gemacht und nun sollte nach Melbourne expandiert werden. Dahinter steckt die Idee, möglichst viele dieser Lieferdienste auf einer Internetseite zu vereinigen, sodass man als Kunde nur noch auf die Website von Delivery Hero zu gehen braucht, seine Postleitzahl eingibt und sich dann aus einer Liste von Restaurants eines aussucht und direkt über ein Online-Formular seine Bestellung aufgibt, die dann nach Hause geliefert wird. Ich hielt das für eine ganz gute Idee, außerdem wurde wie erhofft nach Stunden bezahlt und die Website sah auch seriös aus. Also bewarb ich mich.
Nach ein paar Telefonaten war ich schließlich nicht mehr arbeitslos. Ich arbeite täglich von halb fünf am Nachmittag bis halb zehn abends, weil in dieser Zeit einfach die meisten Restaurants geöffnet haben. Mir wird ein Stadtbezirk zugeteilt und eine Karte ausgehändigt, dann steige ich in die Straßenbahn und lande hoffentlich dort, wo ich hin wollte. Das klappt nicht immer problemlos. Wenn ich das erste Restaurant gefunden habe, gehe ich hinein, frage nach einem „Take-away menu“ und händige dem Besitzer einen Umschlag aus, der Informationen über Delivery Hero enthält. Dann verabschiede ich mich höflich und kündige an, dass sie in ein paar Tagen einen Anruf von Delivery Hero erhalten werden. Dann geht es zum nächsten Restaurant. Klingt einfach? Ist es auch. Mir macht die Arbeit jedenfalls deutlich mehr Spaß als das Verkaufen von Hautcremes. Schade nur, dass es bald schon wieder vorbei ist. Melbourne ist zwar groß (größer als Berlin), aber auch nicht so groß, dass man eine Horde von arbeitswütigen Backpackern länger als ein bis zwei Wochen damit beschäftigen könnte, die einzelnen Stadtteile abzuklappern und Speisekarten einzusammeln.
Was danach kommt, weiß ich nicht. Da Nils auch wieder arbeitslos ist, könnte es sein, dass wir Melbourne verlassen und uns irgendwo, wo es wärmer ist, einen Fruitpicking-Job suchen. Kommt Zeit, kommt Rat. Und Zeit hat man als Backpacker wahrlich mehr als genug. Das sieht man ja an diesen drei ellenlangen Artikeln. :-)
Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines göttlichen Besuches ist in der australischen Straßenverkehrsordnung vorgesorgt |
Unser Zehn-Bett-Zimmer, belegt mit acht Kerlen und zwei Mädels: Man nennt es auch die Stinke-Stube... |
Selbsterkenntnis einer Möwe: Ich seh mich, also bin ich |
Federation Square, der zentrale Platz Melbournes |
Lichtspiele: Bei Rot sollst du stehen... |
...bei Grün darfst du gehen |
Happy Halloween in unserem Hostel |
Samstag, 15. Oktober 2011
Wer suchet, der findet
Und manchmal findet man auch etwas, ohne wirklich auf der Suche danach gewesen zu sein.
Zum Beispiel einen Zehn-Dollar-Schein auf der Straße.
Oder einen Job als Verkäufer von Hautpflegeprodukten in Melbourne.
Das ist mir nämlich gerade passiert. Den Fund des Geldscheins hatte ich ja bereits in einem der letzten Einträge erwähnt, doch auf die andere Sache muss ich wohl genauer eingehen. Wie ihr wisst, sah unsere Gewinn- und Verlustrechnung bis jetzt ziemlich einseitig aus, und zwar nicht zugunsten der Einnahmen. Deshalb haben wir uns, seitdem wir in Melbourne sind, etwas intensiver um einen Job bemüht. Die ersten, noch zaghaften Versuche wurden gnadenlos abgeschmettert. Eine deutsche Bäckerei im Stadtzentrum, die laut Aussage einer Verkäuferin in einem Skateboardgeschäft gerade auf der Suche nach Backpackern sei, entpuppte sich als beinahe unauffindbar, und als wir sie nach rund einer Stunde Irrfahrt schließlich doch noch fanden, begrüßte uns die Bedienung mit den barschen Worten: „We’re not hiring at the moment.“ (Wir stellen im Moment niemanden ein.) Danke vielmals, und schönen Tag noch, Bitch! Das haben wir natürlich nicht gesagt. Am selben Tag stieß ich auf ein gigantisches Musikgeschäft mit der größten Schlagzeugabteilung, die ich je gesehen habe. Dort zu arbeiten wäre ein Traum gewesen, doch auch dort bestand leider kein Bedarf an enthusiastischen und arbeitswilligen Drummerboys.
Gestern Nachmittag war es dann soweit: Nachdem noch einige weitere Versuche gescheitert waren (unter anderem eine Medikamentenstudie und eine Möbelpackerfirma), war ich bereit, in Phase zwei des kleinen Jobsuche-1x1 überzugehen: hochfrequentes und aggressives Bewerben. Das heißt im Klartext, dass man sich einen Stapel Lebensläufe schnappt (idealerweise sollte es der eigene sein) und einfach in jedes – also wirklich jedes - Café, Restaurant oder Geschäft hineinspaziert, nach einem Job fragt und den Lebenslauf inklusive Kontaktdaten aushändigt. Ich stand also gerade an der Rezeption unseres Hostels, um mir meinen Werdegang vervielfältigen zu lassen, bereit für eine Tour de Force durch Melbournes Straßen, als plötzlich ein junger Mann mit einem Jobangebot in der Hand zur Tür herein kam und es sogleich an die Pinnwand heftete. Da in solchen Fällen Schnelligkeit gefragt ist, wartete ich gar nicht erst, bis er wieder gegangen war, sondern las mir gleich das Stellenangebot durch. Er bemerkte mein Interesse und fragte, ob ich mir vorstellen könne, solche Produkte in einem großen Shoppingcenter zu verkaufen. Mit „solche Produkte“ meinte er, wie ich zeitgleich auf der Anzeige las, biologische Hautpflegeprodukte für Sie und Ihn. „Na ja“, dachte ich, „das ist jetzt nicht wirklich mein Spezialgebiet, rangiert auf meiner Wissensskala am unteren Ende irgendwo zwischen Reflexzonenmassage und Häkeln, aber was soll’s, besser als nichts, und die Bezahlung sieht auch verlockend aus!“ Zwei Minuten und einen kurzen Plausch später hatte ich eine Telefonnummer und ein Vorstellungsgespräch am nächsten Tag um zwölf.
Fortsetzung folgt!
Die Lounge unseres ersten Hostels hier in Melbourne |
Melbourne ist die Kunst- und Kulturhauptstadt Australiens |
Selbst die dunkelsten Ecken haben noch ein besonderes Flair |
So muss es im Himmel aussehen - nur bittte ohne Preisschilder |
Backpacker's Choice - Zwei (vollwertige) Abendessen für nur drei Dollar |
Sonnenuntergang am St. Kilda Beach, dem berühmtesten Strand Melbournes |
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