Diesen Blogeintrag widme ich ganz und gar meinen Erlebnissen
im Auenland. Es ist zwar schon einige Wochen her, dass ich das Hobbiton Movie
Set auf der Nordinsel besuchte, aber irgendwo muss ich ja anfangen, meinen
großen Rückstand in der Berichterstattung wieder aufzuholen. Wohlan denn, eine
Geschichte von der Schönheit Mittelerdes und vom Wahnwitz der Filmindustrie
wartet darauf erzählt zu werden!*
Nachdem ich die Coromandel-Halbinsel hinter mir gelassen
hatte, brachte mich der Reisebus in die Nähe von Matamata, einer kleinen Stadt
im grünen Herzen der Nordinsel. Unser Ziel war ein unscheinbares Bauerngehöft
am Straßenrand, das von sanften, grasbewachsenen Hügeln umgeben war, auf denen
unzählige Schafe weideten. Es bestand aus einem Café, einem kleinen
Souvenirgeschäft und einer Scheune, in der Schervorführungen stattfanden. Keine
sonderlich beeindruckende Infrastruktur, wenn man bedenkt, dass hier jährlich
Millionen umgesetzt werden. Ein großes Schild am Eingang begrüßte die
ankommenden Gäste mit „Willkommen am Hobbingen Filmset“, aber von Hobbithöhlen
war erst mal gar nichts zu sehen. Doch das sollte sich bald ändern. Nachdem ich
den astronomischen Eintrittspreis bezahlt hatte, stieg ich mit rund fünfzig
Gleichgesinnten in einen anderen Bus. Jeder Einzelne strahlte wie ein kleines
Kind. Während der fünfzehnminütigen Fahrt, die uns weg von der Asphaltstraße
und mitten ins Farmland führte, fragte uns der Busfahrer, der gleichzeitig eine
Art Einheizer war, wer sich als Fan und wer sich als Fanatiker bezeichnen
würde. Die Allermeisten hoben ihre Hand bei „Herr-der-Ringe-Fanatiker“. Auch
ich meldete mich, immerhin hatte ich jeden der drei Filme mindestens fünf Mal
gesehen, die Buchtrilogie gelesen, ein Filmposter über Jahre in meinem Zimmer
hängen gehabt und sogar eine Zeit lang winzige Spielfiguren von Orks, Elben und
Menschen gesammelt, in stundenlanger Handarbeit einzeln bemalt und in epischen
Schlachten aufeinander gehetzt. Doch mein Weltbild wurde erschüttert, als der
Fahrer als nächstes fragte, wer schon mal alle drei Filme hintereinander
gesehen hatte. Erneut schossen die meisten Hände in die Höhe. Mein Arm blieb
unten. Hatten diese vierzig Verrückten tatsächlich alle drei Filme am Stück
gesehen? Wir sprechen hier immerhin von einem zehnstündigen Fernsehmarathon.
Auf einmal fühlte ich mich gar nicht mehr so fanatisch. Dann erzählte der
Busfahrer, dass sich einige der besonders enthusiastischen Besucher als Hobbits
verkleiden, wenn sie das Set besuchen – inklusive behaarter Füße, versteht
sich. Am komischsten war ein deutscher Tourist, der in voller Hobbit-Montur zur
Führung kam. Der Gute wäre auch fast als echter Halbling durchgegangen, wenn er
nicht 2,10m groß gewesen wäre. Angesichts solches Ganzkörpereinsatzes musste
ich doch einsehen, dass ich soeben zum stinknormalen Fan degradiert wurde.
Schließlich erreichten wir das eigentliche Filmset. Es war
noch schöner, als ich es erwartet hatte. Die Landschaft war herrlich und die
Hobbithöhlen waren mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass es mich nicht
im Geringsten wunderte, dass der Aufbau des Sets volle neun Monate gedauert
hatte. Ich möchte an dieser Stelle eine kleine Anekdote anbringen, die meiner
Meinung nach perfekt den unglaublichen (und sicherlich übertriebenen) Aufwand
verdeutlicht, der von allen Beteiligten betrieben wurde, um das Auenland zum
Leben zu erwecken. Sie dreht sich um einen Baum. In Tolkiens Büchern wurde
beschrieben, dass über Bilbo Beutlins Hobbithöhle eine Eiche stand. Peter
Jackson, der Regisseur der Filme, wollte im Sinne der Authentizität ebenfalls
eine Eiche über der Hobbithöhle platzieren. Auch der unglückliche Umstand, dass
es auf der gesamten Farm keine einzige Eiche gab, ließ ihn nicht von dieser
Idee abweichen. Einen neuen Baum zu pflanzen und wachsen zu lassen dauerte
selbstverständlich viel zu lange. Deshalb wurde eine schöne Eiche von einer der
Nachbarfarmen ausgesucht. Diese wurde über eintausend Mal aus allen möglichen
Perspektiven fotografiert und dann kurzerhand in feuerholzgroße Stücke zersägt.
Die Einzelteile brachte man ans Set und setzte sie mit Hilfe der Fotos oberhalb
der Höhle wieder zusammen. Da der ganze Vorgang im Winter vonstattengegangen war,
hatte die bemitleidenswerte Eiche natürlich keine Blätter getragen. Es war auch
nicht zu erwarten, dass ein in hunderte Klötze zerschnittener Baum je wieder
austreiben würde. Deshalb importierten die Filmemacher 250.000 künstliche
Eichenblätter aus Taiwan. Zehn Studenten der Universität Wellington hatten dann
die ehrenvolle Aufgabe, jedes einzelne Blatt mit Draht an dem toten Baum zu
befestigen. Und das alles für eine Eiche, die im Film nur für wenige Sekunden
im Hintergrund zu sehen ist!
Aber es kommt noch besser: Nachdem die Dreharbeiten für die
Trilogie im Frühjahr 2000 abgeschlossen waren, kümmerte sie niemand mehr um das
Filmset. Es wurde größtenteils demontiert, der Rest dem langsamen Verfall
überlassen. Die tote Eiche verrottete und drohte umzustürzen, deshalb wurde sie
erneut zerlegt und verbrannt. Vor einigen Jahren jedoch wurde klar, dass der
ganze Filmzirkus noch einmal nach Matamata zurückkehren würde, um den neuen
Zweiteiler „The Hobbit“ zu drehen. Dazu musste das gesamte Filmset wieder in den
ursprünglichen Zustand der ersten Dreharbeiten versetzt werden, denn das
Auenland durfte sich ja nicht plötzlich verändert haben. Dieses Mal wurde eine
komplett künstliche Eiche geschaffen, die der originalen Eiche bis ins Detail
gleicht (Ich frag mich bloß, warum man nicht schon beim ersten Mal auf diese
Idee gekommen ist). Erneut wurden 250.000 Eichenblätter importiert und in
Handarbeit einzeln am Baum befestigt.
Doch dann kam es zu mehrmonatigen Verzögerungen während der
Dreharbeiten. In dieser Zeit bleichte die starke neuseeländische Sonne den
künstlichen Baum und seine Belaubung aus. Daraufhin wurden wieder ein paar
Studenten angeheuert, die die Baumrinde und jedes einzelne Blatt (250.000 - ich
kann es nicht oft genug wiederholen) neu streichen mussten. Hätte Tolkien
gewusst, was er mit der Erwähnung der Eiche in seinem Roman anrichtete, hätte
er vielleicht eine (pflegeleichte und - noch erfreulicher - blätterlose)
Vogelscheuche auf Bilbos Höhle platziert.
*Wer mit den Begriffen „Mittelerde“ und „Auenland“ nichts
anzufangen weiß, den bitte ich, sofort mit dem Lesen dieses Eintrags aufzuhören
und in sich zu gehen, um das eigene Leben zu überdenken und sich zu fragen, wie
es so weit kommen konnte. Nach einer angemessenen Zeitspanne (je nach Schwere
der Schuld zwischen zwei Minuten und fünf Jahren) darf der Betroffene aufhören
sich zu schämen und auf
www.amazon.de gehen,
um die Der-Herr-der-Ringe-Trilogie wahlweise als Filme oder in Buchform zu
erwerben. Dann möge er mit der Lektüre fortfahren.
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Ich habe mir sogleich eine wertvolle Immobilie auf dem Gelände gesichert...mein Schatzzzzzzz! |
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Eine der über 40 Hobbithöhlen, die man am Set in voller Pracht vorfinden konnte |
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Blick über den See zum Gasthaus, zur Brücke und zur Mühle |
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Am rechten oberen Bildrand sieht man den Partybaum, unter dem Bilbos 111. Geburtstag gefeiert wurde |
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Na, wer weiß, wem diese feine Hobbithöhle gehört? Richtig, Sam (zu sehen am Ende des dritten Teils) |
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Beutelsend, Bilbos Höhle, mit der berühmt-berüchtigten Eiche |
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Noch einmal aus kürzerer Entfernung. Wer kann erkennen, dass es sich um einen komplett künstlichen Baum handelt? |
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Diese Hobbithöhlen wurden für die Dreharbeiten zu "The Hobbit" neu errichtet und werden im Film erstmals zu sehen sein |
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Blick über Hobbingen mit Partybaum und See |
Okay, ich geb`s zu, ich muss mich jetzt endlich überwinden und die Bücher lesen! Das hört sich alles so toll an!
AntwortenLöschenIch wäre gern auch da, das Set sieht aus wie ein Paradies!
Ich muss wohl meine Reiseroute überdenken und einen Abstecher ins Hobbitt-Land einfügen. Sehr schöne Bilder und ein noch besserer Bericht.
AntwortenLöschenFür mich sind die Bücher Neuland. Gib es sie schon als Hörbücher? Zusammen mit deinen tollen Fotos und deinen Beschreibungen würde es sicher auch ein Genuss für mich.
AntwortenLöschenDOR
Hallo Paul, viele Grüße aus dem Thüringer Outback übermittelt dir Herr Gruhn. Deine kleine Schwester, die noch einige Jahre am OGG schmoren darf und sich gerade mit quadratischen Gleichungen herumschlägt, hat mich ermutigt, dir ein paar Zeilen zu schreiben.
AntwortenLöschenIch bin schon seit Anfang an Gast auf deinem Blog und habe schon etliche Punkte auf deinen Blog-Zähler gebracht.
Das liegt vor allem an deiner eindrucksvollen Präsentation und gerade die Fotos besitzen NATIONAL-GEOGRAPHIC-Kalender-Qualität.
Respekt!!!!
Das du nach 12 (mehr oder weniger) intellektuell anspruchsvollen Jahren in Gebesee in die Niederungen der profanen Arbeitswelt abgetaucht bist, schadet dir sicherlich nicht, sondern erweitert deine Fähigkeiten und dein Wissen. Beim stupiden Bananen-Sortieren
zählst du Primzahlen, berechnest 2 hoch 28 oder zitierst Goethe, du weißt eben, wo deine Wurzeln liegen .....
Der Hinweis auf den Blog deiner Schwester in Argentinien war ein toller Tipp. Auch ihre Berichte lese ich mit großem Interesse.
Da ich mich gerne durch Reisereportagen über andere Länder informiere, komme ich hier voll auf meine Kosten.
Für die kommenden Wochen wünsche ich dir noch jede Menge eindrucksvoller Erfahrungen, eine stabile Gesundheit und immer
genügend Kleingeld im Portmonee.
(P.S.: Lass dich mal wieder in Gebesee blicken !!!) Alles Gute !