Sonntag, 18. März 2012

Fan oder Fanatiker, das ist die Frage!


Diesen Blogeintrag widme ich ganz und gar meinen Erlebnissen im Auenland. Es ist zwar schon einige Wochen her, dass ich das Hobbiton Movie Set auf der Nordinsel besuchte, aber irgendwo muss ich ja anfangen, meinen großen Rückstand in der Berichterstattung wieder aufzuholen. Wohlan denn, eine Geschichte von der Schönheit Mittelerdes und vom Wahnwitz der Filmindustrie wartet darauf erzählt zu werden!*
Nachdem ich die Coromandel-Halbinsel hinter mir gelassen hatte, brachte mich der Reisebus in die Nähe von Matamata, einer kleinen Stadt im grünen Herzen der Nordinsel. Unser Ziel war ein unscheinbares Bauerngehöft am Straßenrand, das von sanften, grasbewachsenen Hügeln umgeben war, auf denen unzählige Schafe weideten. Es bestand aus einem Café, einem kleinen Souvenirgeschäft und einer Scheune, in der Schervorführungen stattfanden. Keine sonderlich beeindruckende Infrastruktur, wenn man bedenkt, dass hier jährlich Millionen umgesetzt werden. Ein großes Schild am Eingang begrüßte die ankommenden Gäste mit „Willkommen am Hobbingen Filmset“, aber von Hobbithöhlen war erst mal gar nichts zu sehen. Doch das sollte sich bald ändern. Nachdem ich den astronomischen Eintrittspreis bezahlt hatte, stieg ich mit rund fünfzig Gleichgesinnten in einen anderen Bus. Jeder Einzelne strahlte wie ein kleines Kind. Während der fünfzehnminütigen Fahrt, die uns weg von der Asphaltstraße und mitten ins Farmland führte, fragte uns der Busfahrer, der gleichzeitig eine Art Einheizer war, wer sich als Fan und wer sich als Fanatiker bezeichnen würde. Die Allermeisten hoben ihre Hand bei „Herr-der-Ringe-Fanatiker“. Auch ich meldete mich, immerhin hatte ich jeden der drei Filme mindestens fünf Mal gesehen, die Buchtrilogie gelesen, ein Filmposter über Jahre in meinem Zimmer hängen gehabt und sogar eine Zeit lang winzige Spielfiguren von Orks, Elben und Menschen gesammelt, in stundenlanger Handarbeit einzeln bemalt und in epischen Schlachten aufeinander gehetzt. Doch mein Weltbild wurde erschüttert, als der Fahrer als nächstes fragte, wer schon mal alle drei Filme hintereinander gesehen hatte. Erneut schossen die meisten Hände in die Höhe. Mein Arm blieb unten. Hatten diese vierzig Verrückten tatsächlich alle drei Filme am Stück gesehen? Wir sprechen hier immerhin von einem zehnstündigen Fernsehmarathon. Auf einmal fühlte ich mich gar nicht mehr so fanatisch. Dann erzählte der Busfahrer, dass sich einige der besonders enthusiastischen Besucher als Hobbits verkleiden, wenn sie das Set besuchen – inklusive behaarter Füße, versteht sich. Am komischsten war ein deutscher Tourist, der in voller Hobbit-Montur zur Führung kam. Der Gute wäre auch fast als echter Halbling durchgegangen, wenn er nicht 2,10m groß gewesen wäre. Angesichts solches Ganzkörpereinsatzes musste ich doch einsehen, dass ich soeben zum stinknormalen Fan degradiert wurde.
Schließlich erreichten wir das eigentliche Filmset. Es war noch schöner, als ich es erwartet hatte. Die Landschaft war herrlich und die Hobbithöhlen waren mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass es mich nicht im Geringsten wunderte, dass der Aufbau des Sets volle neun Monate gedauert hatte. Ich möchte an dieser Stelle eine kleine Anekdote anbringen, die meiner Meinung nach perfekt den unglaublichen (und sicherlich übertriebenen) Aufwand verdeutlicht, der von allen Beteiligten betrieben wurde, um das Auenland zum Leben zu erwecken. Sie dreht sich um einen Baum. In Tolkiens Büchern wurde beschrieben, dass über Bilbo Beutlins Hobbithöhle eine Eiche stand. Peter Jackson, der Regisseur der Filme, wollte im Sinne der Authentizität ebenfalls eine Eiche über der Hobbithöhle platzieren. Auch der unglückliche Umstand, dass es auf der gesamten Farm keine einzige Eiche gab, ließ ihn nicht von dieser Idee abweichen. Einen neuen Baum zu pflanzen und wachsen zu lassen dauerte selbstverständlich viel zu lange. Deshalb wurde eine schöne Eiche von einer der Nachbarfarmen ausgesucht. Diese wurde über eintausend Mal aus allen möglichen Perspektiven fotografiert und dann kurzerhand in feuerholzgroße Stücke zersägt. Die Einzelteile brachte man ans Set und setzte sie mit Hilfe der Fotos oberhalb der Höhle wieder zusammen. Da der ganze Vorgang im Winter vonstattengegangen war, hatte die bemitleidenswerte Eiche natürlich keine Blätter getragen. Es war auch nicht zu erwarten, dass ein in hunderte Klötze zerschnittener Baum je wieder austreiben würde. Deshalb importierten die Filmemacher 250.000 künstliche Eichenblätter aus Taiwan. Zehn Studenten der Universität Wellington hatten dann die ehrenvolle Aufgabe, jedes einzelne Blatt mit Draht an dem toten Baum zu befestigen. Und das alles für eine Eiche, die im Film nur für wenige Sekunden im Hintergrund zu sehen ist!
Aber es kommt noch besser: Nachdem die Dreharbeiten für die Trilogie im Frühjahr 2000 abgeschlossen waren, kümmerte sie niemand mehr um das Filmset. Es wurde größtenteils demontiert, der Rest dem langsamen Verfall überlassen. Die tote Eiche verrottete und drohte umzustürzen, deshalb wurde sie erneut zerlegt und verbrannt. Vor einigen Jahren jedoch wurde klar, dass der ganze Filmzirkus noch einmal nach Matamata zurückkehren würde, um den neuen Zweiteiler „The Hobbit“ zu drehen. Dazu musste das gesamte Filmset wieder in den ursprünglichen Zustand der ersten Dreharbeiten versetzt werden, denn das Auenland durfte sich ja nicht plötzlich verändert haben. Dieses Mal wurde eine komplett künstliche Eiche geschaffen, die der originalen Eiche bis ins Detail gleicht (Ich frag mich bloß, warum man nicht schon beim ersten Mal auf diese Idee gekommen ist). Erneut wurden 250.000 Eichenblätter importiert und in Handarbeit einzeln am Baum befestigt.
Doch dann kam es zu mehrmonatigen Verzögerungen während der Dreharbeiten. In dieser Zeit bleichte die starke neuseeländische Sonne den künstlichen Baum und seine Belaubung aus. Daraufhin wurden wieder ein paar Studenten angeheuert, die die Baumrinde und jedes einzelne Blatt (250.000 - ich kann es nicht oft genug wiederholen) neu streichen mussten. Hätte Tolkien gewusst, was er mit der Erwähnung der Eiche in seinem Roman anrichtete, hätte er vielleicht eine (pflegeleichte und - noch erfreulicher - blätterlose) Vogelscheuche auf Bilbos Höhle platziert.

*Wer mit den Begriffen „Mittelerde“ und „Auenland“ nichts anzufangen weiß, den bitte ich, sofort mit dem Lesen dieses Eintrags aufzuhören und in sich zu gehen, um das eigene Leben zu überdenken und sich zu fragen, wie es so weit kommen konnte. Nach einer angemessenen Zeitspanne (je nach Schwere der Schuld zwischen zwei Minuten und fünf Jahren) darf der Betroffene aufhören sich zu schämen und auf www.amazon.de gehen, um die Der-Herr-der-Ringe-Trilogie wahlweise als Filme oder in Buchform zu erwerben. Dann möge er mit der Lektüre fortfahren.

Ich habe mir sogleich eine wertvolle Immobilie auf dem Gelände gesichert...mein Schatzzzzzzz!

Eine der über 40 Hobbithöhlen, die man am Set in voller Pracht vorfinden konnte

Blick über den See zum Gasthaus, zur Brücke und zur Mühle

Am rechten oberen Bildrand sieht man den Partybaum, unter dem Bilbos 111. Geburtstag gefeiert wurde

Na, wer weiß, wem diese feine Hobbithöhle gehört? Richtig, Sam (zu sehen am Ende des dritten Teils)

Beutelsend, Bilbos Höhle, mit der berühmt-berüchtigten Eiche

Noch einmal aus kürzerer Entfernung. Wer kann erkennen, dass es sich um einen komplett künstlichen Baum handelt?

Diese Hobbithöhlen wurden für die Dreharbeiten zu "The Hobbit" neu errichtet und werden im Film erstmals zu sehen sein

Blick über Hobbingen mit Partybaum und See

4 Kommentare:

  1. Okay, ich geb`s zu, ich muss mich jetzt endlich überwinden und die Bücher lesen! Das hört sich alles so toll an!
    Ich wäre gern auch da, das Set sieht aus wie ein Paradies!

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  2. Ich muss wohl meine Reiseroute überdenken und einen Abstecher ins Hobbitt-Land einfügen. Sehr schöne Bilder und ein noch besserer Bericht.

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  3. Für mich sind die Bücher Neuland. Gib es sie schon als Hörbücher? Zusammen mit deinen tollen Fotos und deinen Beschreibungen würde es sicher auch ein Genuss für mich.
    DOR

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  4. Hallo Paul, viele Grüße aus dem Thüringer Outback übermittelt dir Herr Gruhn. Deine kleine Schwester, die noch einige Jahre am OGG schmoren darf und sich gerade mit quadratischen Gleichungen herumschlägt, hat mich ermutigt, dir ein paar Zeilen zu schreiben.
    Ich bin schon seit Anfang an Gast auf deinem Blog und habe schon etliche Punkte auf deinen Blog-Zähler gebracht.
    Das liegt vor allem an deiner eindrucksvollen Präsentation und gerade die Fotos besitzen NATIONAL-GEOGRAPHIC-Kalender-Qualität.
    Respekt!!!!
    Das du nach 12 (mehr oder weniger) intellektuell anspruchsvollen Jahren in Gebesee in die Niederungen der profanen Arbeitswelt abgetaucht bist, schadet dir sicherlich nicht, sondern erweitert deine Fähigkeiten und dein Wissen. Beim stupiden Bananen-Sortieren
    zählst du Primzahlen, berechnest 2 hoch 28 oder zitierst Goethe, du weißt eben, wo deine Wurzeln liegen .....
    Der Hinweis auf den Blog deiner Schwester in Argentinien war ein toller Tipp. Auch ihre Berichte lese ich mit großem Interesse.
    Da ich mich gerne durch Reisereportagen über andere Länder informiere, komme ich hier voll auf meine Kosten.

    Für die kommenden Wochen wünsche ich dir noch jede Menge eindrucksvoller Erfahrungen, eine stabile Gesundheit und immer
    genügend Kleingeld im Portmonee.

    (P.S.: Lass dich mal wieder in Gebesee blicken !!!) Alles Gute !

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