Was passiert, wenn man ein paar Dutzend Männer während eines sozialen Experiments willkürlich in Wärter und Insassen einteilt und dann für ein paar Wochen in ein Gefängnis sperrt und sich selbst überlässt, kennt man ja schon aus diversen Filmen. Der neueste Schrei unter Soziologen und Psychologen ist es nun scheinbar, rund einhundert junge Erwachsene mit postpubertären Hormonschüben mitten in der Pampa in ein Hostel zu stecken und zu schauen, was dabei so rauskommt. Das würde jedenfalls die vielen Kameras erklären, die hier überall angebracht sind. Nach fünf Wochen in Innisfail kann sogar ich, obwohl ich selber zur Versuchsgruppe gehöre und keine psychologische Ausbildung habe, das Ergebnis dieser Studie vorhersagen. Und es ist nicht gerade beruhigend.
Unter der Woche sorgt die harte Arbeit auf den Bananenplantagen dafür, dass sich die Probanden weitestgehend ruhig verhalten. Die einzige Anomalität, die sich von Montag bis Freitag beobachten lässt, ist ein verschobener Tagesrhythmus. Die Wachphase beginnt für die Meisten gegen fünf Uhr am Morgen und endet überraschend früh um 22 Uhr am Abend. In dieser Zeit zeichnen sich die Versuchsteilnehmer durch Lethargie, einen schlurfenden Gang und markante Augenringe aus.
Das alles ändert sich schlagartig am Freitagnachmittag. Die müden Krieger kehren von der Arbeit heim und langweilen sich fast augenblicklich. Was will man auch groß unternehmen, wenn die unerträgliche Hitze alle Outdoor-Aktivitäten unmöglich macht, man nicht mal an den Strand gehen kann, weil im Wasser sieben Meter lange Salzwasserkrokodile und die tödlichste Quallenart der Welt warten und Innisfail touristisch ungefähr genauso viel zu bieten hat wie Fukushima nach der Kernschmelze? Nicht einmal Internet gibt es im Hostel. Unter diesen Umständen führt der Weg nach der Arbeit für die Meisten von der Dusche direkt zum Bottleshop ihres Vertrauens, um die Alkoholvorräte für das Wochenende aufzustocken. Irgendeine soziale Verhaltensnorm scheint es nämlich vorzuschreiben, dass auf stupides Arbeiten zwangsläufig stupides Besaufen zu folgen hat.
Aber ich verliere meinen neutral-sachlichen Ton, der für eine Studie dieser Art angemessen wäre. Fahren wir also nüchtern fort: Einige Probanden zeigen nach exzessivem Alkoholkonsum ein außerordentlich risikofreudiges Verhalten in Verbund mit maßloser Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, die sicherlich auch dem sozialen Druck der größtenteils gleichaltrigen Bezugsgruppe geschuldet ist.
Nee, dieses gestelzte Geschwafel ist auch nicht gerade zufriedenstellend. Was ich sagen wollte: Das Kampftrinken lässt so manchen Kollegen gehörig am Rad drehen. Die Hitze tut ihr Übriges und schon haben wir den Salat. Folgendes ist in den zwei Wochen, die wir jetzt schon in unserem brandneuen Hostel sind, passiert: Am ersten Wochenende wollte ein Hostelbewohner einen Streit zwischen zwei anderen Backpackern schlichten. Nach der Logik des Alkohols war es im Endeffekt der Schlichter, der komplett ausrastete und eine Fensterscheibe mit bloßer Hand einschlug. Sowohl Fenster als auch Hand waren danach nicht mehr zu gebrauchen. Dieses Wochenende wurde es dann noch bunter. Eine stockbesoffene Backpackerin (ja, selbst die Frauen werden hier zu Problemfällen) kam auf die glorreiche Idee, den Van des Hostelbesitzers zu stehlen und damit eine kleine Spritztour zu machen. Angeblich startete sie den Wagen mit einer Schere (!!!), weil sie logischerweise den Schlüssel nicht bei der Hand hatte. Diese zugegebenermaßen coole Aktion machte sie aber bald wieder zunichte: Nach ein paar Runden auf dem Parkplatz krachte sie in ein dort geparktes Auto, das einem anderen Backpacker gehörte. Schaden an beiden Fahrzeugen: rund 5000 Dollar. Dazu kommen noch etwa 1000 Dollar Bußgeld von der Polizei, die natürlich auch nicht lange auf sich warten ließ. Jetzt hat die Gute wenigstens etwas, wofür sie die nächsten Monate arbeiten kann! Super!
Genug des Wahnsinns, jetzt gibt’s mal wieder nüchterne Fakten: Fünf Wochen Arbeit habe ich hinter mir, drei weitere folgen noch. Dann ist meine Arbeitszeit zum Glück vorbei und ich fliege nach Neuseeland. Dort suche ich mir ein paar Hobbitfreunde und haue Sauron aufs Maul. Das ist immer noch ein besseres Ventil für angestaute Wut als eine wehrlose Fensterscheibe oder ein Auto. Sagt zumindest mein Psychologe.